Wie eine Rückkehr ins Arbeitsleben auch nach längerer Abwesenheit gut gelingen kann.
Es gibt viele Gründe für berufliche Auszeiten: Von der Elternzeit, einem Sabbatical, einem Praktikum im Ausland bis hin zu einem Unfall, einer schweren Krankheit oder auch bedingt durch ein Trauma sowie Burn-Out und/oder einem Erschöpfungssyndrom. Anne Weiß begegnet in ihrer Praxis täglich ganz verschiedenen Menschen und deren individuellen Geschichten und unterstützt sie bei einer erfolgreichen Reintegration ins Berufsleben.
Sonja App:
Mit welchen Arten von beruflichen Auszeiten hast Du es in Deiner täglichen Arbeit am häufigsten zu tun?
Anne Weiß:
In meine Praxis kommen sowohl Klientinnen und Klienten, die nach einer längeren Auszeit “den Anschluss verpasst haben“ als auch solche, die durch einen persönlichen Weckruf nach einer schweren Krankheit oder einer persönlichen Sinnkrise beschlossen haben, einen entscheidenden Spurwechsel in ihrem Leben vorzunehmen.
Welches sind die größten Herausforderungen bei einer Reintegration ins Arbeitsleben nach einer längeren Auszeit?
Der Mensch ist nicht mehr derselbe wie vor der Auszeit. Und auch am Arbeitsplatz hat sich während der Abwesenheit meist so einiges verändert und die bisherige Position passt aus verschiedenen Gründen nicht mehr. Körperliche Einschränkungen können z. B. eine Veränderung der Arbeitsbedingungen auf verschiedenen Ebenen notwendig machen.
Dazu kommt ein vollkommen neues Selbstbild mit verändertem Glaubens- und Wertesystem, welches viele Aspekte aus der Vergangenheit entschieden in Frage stellt. Aber es gibt auch Herausforderungen auf der Arbeitgeberseite: Mit der Situation komplett überforderte Personalabteilungen und Kolleginnen und Kollegen, die plötzlich vor neuen oder zusätzlichen Aufgaben stehen oder die nach einem Up- oder Downgrade ihres ehemaligen Vorgesetzen andere Rahmenbedingungen an ihrem Arbeitsplatz haben. Dann muss erst mal eine neue Ordnung im kompletten Beziehungssystem geschaffen werden: Sowohl in der Beziehung zu sich selbst als auch in der Beziehung mit den anderen.
Wie unterstützt Du Deine Klientinnen und Klienten bei der Reintegration ins Arbeitsleben? Kannst Du ein paar Beispiele nennen?
Im Mittelpunkt meiner Begleitung steht immer ein sehr intensiver und ganz individueller, persönlicher Entwicklungs- und Selbstfindungsprozess sowie die Auflösung alter blockierender Muster, Identifikationen, Selbstzweifel sowie persönliche Antreiber- und Sabotageprogramme und Konditionierungen. Erst wenn die inneren Prozesse erkannt, geklärt und wieder in Balance sind, kann man selbstbestimmt aus der alten Rolle aussteigen. Ich arbeite dabei in meiner Praxis u. a. mit verschiedenen Methoden von Heilhypnose/Tiefenfeldentspannung, transpersonaler Psychologie und Techniken aus dem Mentaltraining verbunden mit kraftvollen Heilmethoden auf der Basis der traditionellen schamanischen Energie- und Informationsmedizin.
Welche Rolle spielt das persönliche und berufliche Umfeld bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt nach einer längeren Auszeit?
Das persönliche wie auch das berufliche Umfeld spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Reintegration. Für viele Betroffene ist das ein sehr großer Schritt, der auch mit verschiedenen Ängsten, einem geschwächten Selbstvertrauen und Unsicherheiten auf verschiedenen Ebenen verbunden ist. Man befindet sich quasi in einem “Transitbereich“: Das alte Ich existiert nicht mehr und das neue Selbstbild ist noch nicht genau definiert und stabilisiert.
Vor allem nach Zeiten, in denen es in erster Linie ums psychische und physische Überleben ging, benötigt man Klarheit darüber, was geschehen ist und welche Rollen nicht mehr stimmig sind. So kann man eine neue Selbstdefinition als Individuum erschaffen, die einen wieder in ein selbstbestimmtes und sinnerfülltes, seelisches Gleichgewicht bringt und dialog- und beziehungsfähig macht.
Wie kann der Arbeitgeber einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin bei der Reintegration unterstützen?
Es ist wichtig zu sehen, dass jedes Arbeitsverhältnis ebenso eine „Beziehung“ darstellt wie eine Partnerschaft oder Familie. Daher ist es sinnvoll, immer beide Parteien mit ihren Zielen, Wünschen und Erwartungen zu betrachten. Ein achtsamer und wertschätzender Dialog und Verständnis von beiden Seiten gehören als wichtige Grundlage dazu.
Ein Problem kann niemals auf der Ebene gelöst werden, auf der es entstanden ist. Der Arbeitgeber sollte auch mal unkonventionelle Möglichkeiten und Lösungswege in Betracht ziehen: ein Wechsel in eine andere Abteilung, ein berufliches Up- oder Downgrade, eine Anpassung der Arbeitszeiten oder des Arbeitsplatzes an die neuen Bedürfnisse des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin bis hin zur Schaffung einer ganz neuen Planstelle. Manchmal sind adäquate Zwischenlösungen oder strukturelle Veränderungen sinnvoll.
Welche Erfolgsgeschichten kannst Du uns zum Thema Reintegration in den Arbeitsmarkt erzählen?
Ich begleitete z. B. eine Klientin aus dem Management einer großen Bank, die sehr selbstreflektiert bereits im Anfangsstadium ihres Burn-Outs zu mir kam. Sie hatte damals noch so viel Energie, um selbstbestimmt und voll handlungsfähig mit mir verschiedene Möglichkeiten für einen schrittweisen Downgrade im Job zu erarbeiten. Bereits nach wenigen Sitzungen kannte sie ihr bestmögliches und stimmiges neues Konzept. Nach einer kurzen Auszeit konnte sie mit Unterstützung ihres Arbeitgebers die notwendigen Veränderungen umsetzen und Schritt für Schritt anpassen.
Außerdem begleitete ich den Chef eines mittelständischen Handwerksunternehmens, der seit längerer Zeit starke Stresssymptome und Konzentrationsprobleme hatte und sich keine Auszeit erlauben wollte. Hier ging es erst mal darum, kontrolliert Druck abzulassen. Wir fanden sehr schnell verschiedene prägende Ereignisse in der Vergangenheit. Diese führten neben dem aktuellen Stress im Arbeitsalltag dazu, dass er quasi wie ein Dampfkochtopf kurz vorm Explodieren stand. Danach konnten dann alte, unbearbeitete Geschichten erkannt und aufgelöst werden. Ergänzend war es erforderlich, dass er in seinem Unternehmen viele Dinge delegierte und sich Raum für eine sinnerfüllte Zeit außerhalb der Firma reservierte.
In einem weiteren Fall ging es um die Reintegration einer Klientin, die nach einer überstandenen schweren Erkrankung bereits aus dem beruflichen Alltag ausgeschieden war und nach einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt in der Abteilung gar nicht mehr gebraucht wurde. Das Resultat war ein massiver Bore-Out verbunden mit starken Gefühlen der Sinnlosigkeit und Selbstzweifeln. Zudem traten dadurch erneut Krankheitssymptome auf. Aus diesem Grund fokussierten wir uns darauf, für sie ein passendes neues Arbeitsfeld zu finden, das ihren Fähigkeiten und Talenten entsprach.
Welche Tipps hast Du für Arbeitgeber, die sich intensiver mit der Reintegration von Mitarbeitenden nach beruflichen Auszeiten aller Art beschäftigen wollen und konkrete Maßnahmenpakete ausarbeiten möchten?
Bleiben Sie im Dialog … und dies bereits während der Auszeit und nicht erst bei der Rückkehr des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin.
Nehmen Sie Anteil … Ein Mitarbeiter, der sich in einer Phase des physischen Überlebens befindet und/oder auch dabei ist, sein seelisches Gleichgewicht wieder zu finden, braucht vor allem echte Anteilnahme sowie Respekt und Wertschätzung, anstatt Mitleid oder Misstrauen.
Gehen Sie in Beziehung … Begegnungen erfordern einen Dialog auf Augenhöhe verbunden mit einem hohen Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen sowie echtem Interesse am Gegenüber und seiner momentanen Situation.
Entscheiden Sie nicht nur allein … Beziehen Sie das Team/die Abteilung/betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig mit ein, anstatt sie plötzlich vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Seien Sie offen für kreative und unkonventionelle Lösungen … an die Sie vielleicht noch nicht gedacht haben. Wechseln Sie den Standpunkt und den Ort für das Brainstorming. In einer anderen Umgebung haben Sie und alle im Prozess beteiligten Personen sicher andere Ideen.
Holen Sie sich Unterstützung … von außen mit ins Team, z. B. einen Mediator oder Coach, wenn die Situation in Ihnen selbst etwas antriggert, so dass sie nicht mehr neutral und vorurteilsfrei am Prozess teilnehmen können oder wenn sie selbst tief berührt und als Chefin oder Chef mit der Situation überfordert sind.
Und erlauben Sie sich, die neue Situation als willkommene Chance zur Selbstreflexion für sich und das ganze Unternehmen und Ihre Abteilung zu sehen, was eine große Bereicherung für alle sein kann.
Das Interview mit Sonja App (http://www.sonja-app.com) erschien am 14. 12. 2018 auf Xing.