Hochsensibilität

Das Gras wachsen und die Flöhe husten hören...

Hochsensible Menschen – auch HSP (‚Highly-Sensitive-Person‘) genannt – wurden in vielen Kulturen schon immer besonders geschätzt und hatten ganz spezielle Aufgaben in der Gesellschaft. In unserer westlichen Kultur beginnt sich gerade erst das Wissen über diese Gabe, die (nach wissenschaftlichen Untersuchungen) schätzungsweise etwa 20 % der Menschen von klein auf besitzen, erst langsam zu verbreiten. Und oft wissen auch die ‚Betroffenen‘ selbst lange Zeit nicht, dass Ihre vermeintliche Andersartigkeit ein wunderbares Geschenk für sich und auch andere sein kann, sobald man gelernt hat, sorgsam und selbstbestimmt damit umzugehen. Dabei ist es ganz besonders wichtig, seine persönlichen Bedürfnisse warnehmen und erkennen zu können und die oft bereits seit Geburt vorhandenen Potentiale und Ressourcen sinnvoll und achtsam für sich und andere einzusetzen und zudem ganz persönliche und individuelle Wege und Möglichkkeitem zu erlernen, um sich klar und bestimmt von all dem abzugrenzen, was schwächt und der persönlichen Entwicklung nicht förderlich ist.

FEINERE NUANCEN UND EIN GRÖSSERES WAHRNEHMUNGSFELD

Hochsensible Menschen besitzen meist eine wesentlich intensivere und detailliertere Wahrnehmung ihrer Umwelt als andere Menschen. Gleichzeitig nehmen sie dabei feinere Nuancen wahr und verfügen über eine erhöhte Empfindlichkeit für äußere Reize (wie z.B. Gerüche, Geräusche und Berührungen) wie auch für innere Reize (wie z.B. Vorstellungen, Empfindungen, Erinnerungen, Gedanken). Dabei nehmen Hochsensible die Befindlichkeiten, Stimmungen und Gefühlslagen oft nicht nur bei sich, sondern auch bei anderen und in Ihrem Umfeld schneller wahr und spüren somit meist schon etwas, was dem Gegenüber oft noch gar nicht ins Besusstsein getreten ist. Und auch die Gabe einer ausgeprägten Empathie und Intuition ist für viele Hochsensible ganz normal und bereits von Kindheit an vorhanden ohne extra erlernt oder besonders trainiert worden zu sein.

DIE SCHATTENSEITEN DIESER WUNDERVOLLEN FÄHIGKEITEN

Die oftmals vorhandene Tendenz zur Überstimulation und Überreizung durch die Vielzahl der aufgenommenen Reize inklusive aller damit verbundenen körperlichen sowie psychischen Symptome kann sich mitunter leicht bis zum Burn-Out und psychosomatischen Erkrankungen ausweiten. Dies macht es für hochsensible Menschen notwendig, ein hohes Maß an Selbstverantwortung und Klarheit für die eigenen Bedürfnisse sowie das Erkennen notwendiger Ruhepausen und das Setzen klarer Grenzen Ihrer Umwelt gegenüber zu erlernen und einzusetzen.

Auch Ängste können durch das hohe Maß an bildlicher Vorstellungskraft oft sehr viel intensiver und in bildhafterer Form auftreten. Und selbst relativ einfache Entscheidungen können nitunter schon mal sehr komplizierte Ausmaße annehmen durch die Fähigkeit in größeren und komplexeren Zusammenhängen zu denken und die Dinge z.B. auch im systemischen Kontext mit allen verbundenen Konsequenzen betrachten zu können. Basierend auf dem oft sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und Harmoniebedürfnis nimmt die Verarbeitung von Emotionen dann oft einen besonders hohen Stellenwert ein und statt einem klaren nein nach außen werden immer wieder auch faule Kompromisse eingegangen und die Verantwortung übernommen für Dinge oder Bereiche, die eigentlich ganz klar in den Aufgaben-, sowie Verantwortungsbereich anderer gehören.

VERSÖHNUNG MIT DER EIGENEN EINZIGARTIGKEIT

Für viele hochsensible Menschen ist es meist schon sehr heilsam zu erkennen, dass sie nicht etwa falsch, sonderbar oder andersartig sind, sondern mit einem großartigen Geschenk auf diese Welt gekommen sind, dass oft nur erst mal anerkannt, ausgepackt und komplett entwickelt werden muss. Vieles aus der Vergangenheit kann dann in einem anderen Licht betrachtet, aufgelöst und in Heilung gebracht werden. So kann Versöhnung mit den eigenen alten Geschichten stattfinden und mitunter ein ganz neuer Lebensabschnitt in voller Kraft und Selbst-Bestimmung seinen Weg beginnen.

Oft wurden die Grenzen von Hochsensiblen bereits in der Kindheit mehrfach massiv verletzt und überschritten, die eigenen Bedürfnisse wurden nicht beachtet oder gehört, das Kind übernahm Verantwortung in der Familie für die es noch nicht das notwendige Bewusstsein besaß oder es kam zudem zu traumatischen Erfahrungen und all dies hinterließ ein Gefühl starker Ohnmacht oder Hilflosigkeit und man identifizierte sich mit Rollen, die nicht die eigenen waren. Dann fällt es mitunter auch dem mittlerweile großen Erwachsenen sehr schwer, dem inneren und äußeren Druck standzuhalten und in vielen Fällen können Schuldgefühle, Selbstzweifel oder gar massive Existenzängste hinzu kommen. Spätestens dann kann es wichtig sein, sich kompetente Hilfe und liebevolle Begleitung mit Erfahrung auf diesem Gebiet suchen, um erkennen können, was davon wirklich zu einem Selbst gehört und was eventuell aus lauter Loyalität oder Empathie einfach nur übernommen, anderen abgenommen oder schlichtweg übergestülpt wurde, bevor sich z.B. massive Schlafstörungen, Ängste, posttraumatische Belastungen oder psychosomatische Beschwerden manifestieren oder es sogar zum handfesten Burn-Out oder auch Bore-Out kommt.

Jeder Mensch, ganz gleich ob hochsensibel, hochempathisch, feinfühlig oder auch nichts von alldem ist in seiner individuellen Einzigartigkeit ganz besonders und auch das Thema Hochsensibilität ist mit all seinen Nuancen sehr komplex und sollte sehr individuell betrachtet werden, da diese Bezeichnung vor allem eine Möglichkeit darstellt um dieser großartigen Gabe und Potential einen Namen zu geben. Mittlerweile gibt es sehr viele gute Bücher und auch eine Fülle an Informationen im Internet zu diesem Thema welche viele weitere Hintergründe und Zusammenhänge erläutern, praktische Tips geben und sowohl beim hochsensiblen Leser*innen wie auch bei Eltern, Lehrer*innen und Lebenspartner*innen zu so manchen eigenen Aha-Erlebnissen und mehr Verständnis führen können. Ich empfehle jedoch dies nur als Hintergrundwissen und keinesfalls als Diagnose zu betrachten. und zugleich alle Aussagen auch achtsam mit etwas Abstand für sich zu überprüfen und sich vielleicht dabei zu erinnern, wer Sie waren, bevor andere ihnen sagten, wer Sie sind.